Was ist Künstlerische Forschung? – von Kerstin Stutterheim
Künstlerische Forschung ergibt sich aus dem Verständnis der beiden Worte, die dieses Paar prägen. Also dem Zusammenwirken von Kunst und Forschung. Selbstverständlich – und das ist international Konventionen im Bereich der künstlerischen Forschung Konsens – ist die Basis einer künstlerischen Forschung eine hervorragende Kenntnis dessen, was die Kunst, mithilfe derer man forschen möchte bzw. die man genauer erforschen will, eine Grundvoraussetzung. Und das meint, dass man ihre Spezifika und die Möglichkeiten der künstlerischen Mittel, die zur Verfügung stehen, ebenso kennt und in großer Qualität beherrscht, wie selbstverständlich auch den Diskurs zu dieser Kunstform.
Mit der Ausübung der eigenen Kunst im Sinne der künstlerischen Forschung wird diese in hoher Qualität angewandt und eingesetzt, um Prozesse zu verstehen und für Außenstehende verstehbar zu machen. Man kann – dabei sowohl Texte zu dieser Fragestellung von Hans-Jörg Reichenberger vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte als auch von Lorenz Engell im Kopf habend – die Forschung mit Mitteln der Kunst mit einer Laborsituation vergleichen. Ausgehend von einem den Konventionen der Forschung entsprechenden Erkenntnisinteresse begibt sich die Künstlerin mit ihren eigenen Mitteln auf die Suche nach einer Lösung. Der Weg zu der Lösung wird so dokumentiert, dass der Prozess zum Erreichen einer Lösung für Außenstehende nachvollziehbar wird. Dies kann sowohl in der Dokumentation von Zwischenschritten bestehen, kann aber auch eine Reflektion des Prozesses an sich, der Überlegungen, der bewusst gewordenen Einflüsse aus Tradition und Diskurs, kultureller Verankerung, tagesaktuellen Einwirkungen, persönliche Entscheidungen darstellen. Die Idealform ist eine Verbindung von Beidem. Das Resultat kann, wie in der Naturwissenschaft auch, etwas anderes sein als das, nach dem man geforscht hat. Dabei muss zwar kein eigenständiges Kunstwerk entstehen, dennoch sollte das entstandene Ergebnis höchsten Ansprüchen der Kunst, in der man geforscht hat, entsprechen – ebenso wie dem seit der Renaissance tradierten Verständnis von Forschung (die zu dieser Zeit auch noch auf einem Zusammenwirken von Kunst, Technik, Natur und auch Förderung durch Mäzenen bestand).
Ziel der künstlerischen Forschung ist das, in den allgemeinen Wissenskorpus aus der jeweiligen künstlerischen Tätigkeit heraus das Wissen über diese jeweilige künstlerische Formen, das in ihr enthaltene Wissen und die notwendigen künstlerischen Fertigkeiten einzubringen.
Ein Dilemma, indem wir vor allem im Bereich des Films stecken, besteht darin, dass sehr häufig bis überwiegend Filme als fertige Produkte, ohne Berücksichtigung einerseits des Produktionsprozesses mit den sich daraus ergebenden Bedingungen und andererseits der spezifischen Kunst der einzelnen Gewerke, durch deren Zusammenwirkung ein Film entsteht.
Mit Hilfe der künstlerischen Forschung soll etwas erreicht werden, was durch die Arbeit von Hans Belting in der Bildwissenschaft begonnen wurde. Angestrebt wird, dass nicht mehr das fertige Werk ausschließlich von außen und überwiegend interpretativ betrachtet und diskutiert wird. Auch der Film in seiner Wirkung basiert auf spezifischen künstlerischen Tätigkeiten, die mithilfe von künstlerischer Forschung auf dem Gebiet des Films nachvollziehbar und verstellbarer gemacht werden sollen/ können. Es geht also darum, so genanntes „verborgenes Wissen“ zu erforschen und einer interessierten Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Bisher wird dieses Wissen vor allem von den „Meistern“ an ihre Schüler weitergegeben, ohne dass es in den allgemeinen Wissenskorpus einfließt oder anderen einen dieser Kunst Interessierten zur Verfügung steht.
Kurz gesagt, möchten die Filmkünstler_innen selber in den Diskurs über Film und Bewegtbildmedien einwirken. Darüber hinaus bietet die künstlerische Forschung im Bereich des Films gerade jetzt, wo die Tendenz immer stärker zu einer Bild-orientierten Gesellschaft unübersehbar ist, einem größeren Forum von Menschen, Politikern und Wissenschaftlern, aber auch der interessierten Allgemeinheit, ein größeres Verständnis der Beschaffenheit und sich daraus ergebenden Wirkung dieser bzw. den Zugang dazu.
An dieser Stelle sei erlaubt darauf hinzuweisen, in der Zeit der Renaissance Künstler mit ihren Mitteln auf eine Art geforscht haben und zu Erkenntnissen kamen, die bis heute gewürdigt werden. In dieser Tradition verstehen wir uns auf moderne Art, denn – wie schon Hegel und auch Adorno schrieben, müssen Begriffe überprüft und an der Praxis gemessen und an diese angepasst werden, um nicht ihres Sinnes entleert zu werden. Dies bedeutet, dass man sich dessen, was diese Begriffe aussagen und wie sie tradiert sind, durchaus bewusst ist und diese durch die Überprüfung eine Praxis weiter entwickelt, weiter anwendbar macht – oder auch kritisch hinterfragt und praktikablere Definitionen und Begriffe vorschlägt, die der Tradition und aktuellen Ausübung einer bestimmten Kunst nachvollziehbar besser entsprechen.