Die Dramaturgie der Filmmusik in FARGO (2014)­ ­– von Phillip Feneberg

Die Serie Fargo (FX Network, 2014) ist eine von Noah Hawley produzierte und zum Großteil geschriebene Fernsehserie, die sich leicht an den gleichnamigen Film Fargo (UK/USA, 1996) von Ethan und Joel Coen anlehnt. Sie wurde 2014 erstmals ausgestrahlt und besteht derzeit aus zwei Staffeln. Eine weitere befindet sich in Produktion und soll 2017 erscheinen (Stand Juli 2016). Die Serie bewegt sich zwischen den Genres Gangster-Crime-Drama und Schwarze Komödie. Die Filmmusik wurde von Jeff Russo, der auch Gitarrist und Songwriter bei der Grammy-nominierten Rockband Tonic ist, komponiert. Dramaturgisch und erzählerisch sind die Staffel jeweils in sich geschlossen erzählt; die folgende Analyse beschränkt sich auf die erste Staffel.

Fargo

Für die Arbeit an der Serie Fargo wurde Filmkomponist Jeff Russo von Creator Noah Hawley angefragt, mit dem er schon zuvor an zwei Serien gearbeitet hatte (My Generation und The Unusuals). Russo begann seine Arbeit bereits zum Skript und entwickelte etwa 40-60% des musikalischen Materials vor Drehbeginn. [1] Das Titelthema entstand nach einem der ersten Gespräche mit Hawley: Der Charakter der Musik sollte „kalt und einsam“ sein, ohne an Emotionalität einzubüßen, und gleichzeitig „die Schönheit und Weite der Landschaft“ einfangen. Alle anderen Themen entstanden danach und leiten sich teilweise aus dem Titelthema ab. [2] Eine weitere an den Komponisten herangetragene Aufgabe für die Musik war, „die böse Natur“ von Lorne Malvo, so wie „Lesters Abstieg ins Böse“ einzufangen. Als später die ersten Schnittfassungen vorlagen, wurden zu keinem Zeitpunkt Temp Tracks unterlegt, stattdessen trafen sich Hawley, Russo und dessen Music Editor zu einer gemeinsamen Spotting Session. [3] Durch die ausgiebige Vorarbeit war die pro Folge aufgewendete Arbeitszeit seitens des Komponisten sehr unterschiedlich und reichte von vier Tagen bis zu zwei Wochen. [4]

Um dem Score eine eigene Identität zu geben, aber dennoch in einer großen, filmsprachlichen, orchestralen Klangfarbe zu bleiben, die sich auch an den gleichnamigen Film Fargo anlehnt, entschied er sich dazu, ein großes osteuropäisches Orchester aufzunehmen. Der Soundtrack zur Serie Fargo wurde vom Prague FILMharmonic Orchestra eingespielt. Bei den Aufnahmen konzentriert er sich vor allem auf die Streicher- und Holzsektion, allerdings sind sehr oft auch Blechbläser und teilweise die Percussion aufgenommen. Für solistische Melodiepassagen werden häufig Violine, Viola oder Englisch Horn verwendet. Die Aufnahmesessions mit dem Orchester sind für den Komponisten sehr wichtig. Er sagt, er könne 70% der orchestralen Klangfarbe mit Samples erreichen, doch gäbe es für ihn keinen Ersatz für 45 Personen, die live in einem Raum spielen. [5] So verwendet er beispielsweise in der ersten Folge kein einziges Sampleinstrument. In den folgenden Episoden greift er jedoch vor allem im Bereich der Percussion gelegentlich auf Orchester- oder elektronische Samples zurück, um mehr Kontrolle über den Sound zu haben. Des Weiteren kommen Pads zum Einsatz, die er mit den Orchesteraufnahmen mischt. Eine weitere Ausnahme ist das elektronisch bearbeitete Sample des Waschmaschinensounds. [6] Andere Effekte dagegen generiert Russo durch Bearbeitung von akustisch aufgenommenen Klängen: Der gespenstische Streicher-Effekt, der erklingt, wenn Gefahr naht, wurde mit einer gestrichenen Säge und einer Violine im Tremolo hinter dem Steg gespielt erzeugt. Zudem wird mit Klaviereffekten durch Bogen oder Hammer auf den Saiten gearbeitet. [7]

Die Titelmusik

Zu Beginn der Pilotfolge von Fargo ist zu sehen, wie durch eine weitläufige, schneebedeckte, einsame Landschaft in Minnesota aus der Ferne ein Auto in der Dämmerung heranfährt. Im Auto sitzt die Figur Lorne Malvo (dargestellt von Billy Bob Thornton), die beim Fahren eine auf Kassette aufgezeichnete Stimme anhört. Als er die Kassette abschaltet, ist ein dumpfes Klopfen und Rumoren aus dem Kofferraum zu hören. Plötzlich überquert Wild die Straße, das Fahrzeug kollidiert mit einem der Rehe, kommt von der Fahrbahn ab und bleibt am Straßenrand liegen. Der Kofferraum öffnet sich und ein Mann, nur mit Unterhose bekleidet, springt heraus und rennt in den Wald. Dramaturgisch gesehen bildet diese Eröffnungsszene den „einleitenden Akkord“: [8] Die Figur Malvo wird als geheimnisvoller Charakter eingeführt und die von ihm ausgehende Gefahr wird etabliert, wie auch seine Eigenartigkeit.

Die erste Szene wird direkt mit der Titelmusik eröffnet, die in vollständiger Form auf dem bei Sony Classical erschienenen Soundtrack den Titel „Bemidji, MN (Fargo Series Main Theme)“ trägt: Zunächst wird von einer Solo-Violine mit Klavier- und Harfenbegleitung und einzelnen, darüber klingenden Mallettönen, das melancholische Hauptthema, eher im Piano, vorgestellt. Das viertaktige Thema, das zweimal fast identisch zu hören ist, wird auch auf harmonischer Ebene beide Male mit demselben Akkordschema begleitet, dessen Harmonien ganztaktig wechseln. Durch die solistische Besetzung strahlt es Einsamkeit aus. Da der Ambitus (Tonumfang) eher klein ist (das Rahmenintervall einer kleinen Sexte wird nicht überschritten) und es in D-Moll auf der Terz beginnt und auch in D-Moll auf dem Grundton schließt, wirkt es außerdem zurückhaltend, einfach und in sich geschlossen. Während das Auto immer näher kommt, steigt das Thema relativ unerwartet, eingeleitet von einem crescendierenden Paukenwirbel, zum vollen, lauten Orchestersatz an (Auftakt zu Takt 9) und erreicht seinen absoluten melodischen Höhepunkt (T.11). Dadurch wird die Intensität nachdrücklich gesteigert, die anfängliche Zurückhaltung ist verschwunden und die gezeigten Bilder werden nahezu pathetisch aufgeladen. Die weiterhin einfach gehaltenen Akkordwechsel werden durch voranschreitende Durchgänge im Bass erweitert, was zusätzlich eine dramatische Steigerung und ein Vorwärtstreiben bewirkt. Insgesamt wirkt dieser zweite Teil der Titelmusik wie ein feierlicher Choralsatz, der dem solistisch gestalteten ersten Teil kontrastierend gegenübersteht.

Notenbeispiel 1 (Sämtliches in dieser Arbeit verwendetes Notenmaterial wurde vom Verfasser als Leadsheet oder Particell transkribiert.)

In einem Interview schildert Komponist Jeff Russo, er habe beim Komponieren versucht Gitarren und elektronische Instrumente weitgehend zu vermeiden, und so zunächst eine Melodie für Solo-Violine entwickelt, um „ein melancholisches Gefühl“ zu vermitteln. Weiter erklärt er:

„Ich habe nicht nach der Musik der Region geforscht, sondern nach den musikalischen Ursprüngen der Menschen in Fargo. Viele der Bewohner sind Auswanderer aus Schweden, Norwegen und verschiedenen osteuropäischen Ländern. Ich habe mich auf traditionelle Instrumente konzentriert, wie die Nyckelharpa, eine Art Violine mit Tasten, und die Weidenflöte und viele andere, die ich plane zu nutzen. Sleigh Bells sind nützlich, um die Kälte, den Schnee und die Einsamkeit zu betonen. Die Gegend, die man in der Serie sieht, ist ein Charakter, und so ist es wichtig, sie wie einen Charakter zu behandeln.“ [10][11]

Diese Sleigh Bells treten zum ersten Mal in der Titelmusik auf und ziehen sich als prägnantes musikalisches Motiv durch die ganze erste Staffel.

Die Titelmusik erinnert bezüglich Melodik, Harmonik und auch Instrumentation zunächst an das Hauptthema des Films Fargo (UK/USA, 1996) von Komponist Carter Burwell, doch sowohl Burwell als auch Russo lehnen ihr Thema an das norwegische Volkslied „Den Bortkomne Sauen“ (englisch „The Lost Sheep“) an [12]. In einem Interview mit Etan Rosenbloom von ASCAP spricht Jeff Russo über weitere mögliche Referenzen zu Burwells Soundtrack:

„Ich habe mir den Film angeschaut. Ich beziehe mich nie direkt auf den Score, aber dennoch auf dessen Klangfarbe. Das ist einer der Gründe, warum ich unbedingt ein Orchester verwenden wollte, denn wenn wir wie ein Film klingen wollen, brauchen wir wirklich „Film-Musik“, mit einer großen Streichersektion, umfangreich besetzten Holzbläsern und einer Blechbläsersektion. Somit bin ich also in Burwells musikalischer Landschaft geblieben. Aber weiter geht meine Referenz zu diesem Score nicht.“ [13]

Durch die Instrumentierung und die musikalische Gestaltung der Titelmusik mit Referenzen zur volkstümlichen norwegischen Musik wird der Ort also auch musikalisch als einsam, weitläufig und kalt charakterisiert.

Die meisten der zehn Episoden der ersten Staffel werden mit der Titelmusik eröffnet und ebenso viele davon enden auch damit. Losgelöst von Vor- und Abspann taucht diese Version der Titelmusik nur einmal in der ursprünglichen Fassung und in voller Länge auf, wenn etwa in der Mitte der achten Folge (Timecode 29:35) ein Zeitsprung von einem Jahr, von 2006 zu 2007, erzählt wird. Russo äußert sich hierzu:

„Ich denke, wir wollten damit das Publikum in der Serie verankern und die Tatsache unterstreichen, dass das Leben wirklich weitergeht. Im wahren Leben ereignen sich auch Dinge und dann passiert mal wieder nichts. Also ist all diese Zeit vergangen, aber die Welt dreht sich weiter und die Menschen sind nicht mehr in dem Zustand, in dem sie vorher waren, sondern haben sich verändert – oder eben auch nicht. Um das zu zeigen, haben wir das Thema unserer Filmwelt eingespielt – welches die Titelmusik der Serie ist. Das hilft an dieser Stelle wirklich sehr.“ [14]

Die Themen der Figuren Lester Nygaard und Lorne Malvo

Lesters Thema

Die Hauptfigur Lester Nygaard (dargestellt von Martin Freeman) wird beim gemeinsamen Essen mit der Figur der Ehefrau Pearl (dargestellt von Kelly Holden Bashar) in die Handlung eingeführt. Lester fühlt sich in dieser Szene von Pearl „gedemütigt“, da sie ihm vorhält, dass er im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder kein sehr erfolgreicher Geschäftsmann sei, und er sich für mehr beruflichen Erfolg nur besser anstrengen müsse. Trotz seiner innerlichen Aufgebrachtheit hält Lester sich nach außen hin unter Kontrolle. Begleitet wird diese Szene (ab TC 04:27) durch ein dezentes, vorsichtiges Thema, das durch gezupfte Bässe, kombiniert mit Fagott, fast komödiantische Wirkung hat. Durch Flöten und gelegentlich eingestreute Glockenspieltöne bekommt es einen eher harmlosen und gutmütigen Anstrich. Dieses Thema fängt den Charakter der Figur Lester ein und ist eng mit ihr verknüpft.

Notenbeispiel 2

Notenbeispiel 2

Zusätzlich fällt in dieser Szene von Anfang an der aufdringliche, aus dem Keller dringende Waschmaschinensound auf: Die Maschine wird wohl bald kaputt gehen – darüber hinaus bildet dieser Sound aus dem Keller eine Metapher für eine Art innerliches, psychisches Rotieren des Protagonisten. [15]

Malvos Thema

Die Figuren Lester und Lorne Malvo treffen zum ersten Mal im Wartebereich des Krankenhauses aufeinander. Lester sucht die Notaufnahme wegen seiner gebrochenen Nase auf, die er sich in einer von ihm als erniedrigend empfundenen Konfrontation mit seinem ehemaligen Klassenkameraden, Sam Hess (dargestellt von Kevin O’Grady), zugezogen hat. Malvo sitzt dort wegen seiner Kopfverletzung aus dem Autounfall in der Eröffnungsszene. Die beiden sprechen über die Umstände von Lesters Unfall, wobei dieser versucht, die Hintergründe und seine Emotionen herunterzuspielen. Der Dialog ist dadurch gekennzeichnet, dass Malvo die Umschreibungen und Verharmlosungen von Lester beim Namen nennt, und Dinge direkt ausspricht, was Lester sich nie trauen würde (z.B.: TC 14:32 „In your position I would have killed that man.“). Schließlich gesteht Lester seine Demütigungs-Empfindungen vor Malvo ein, erteilt ihm zunächst aus Spaß und schließlich versehentlich den Auftrag zum Mord an Sam Hess.

Auf dramaturgischer Ebene bilden die beiden Figuren Lester und Malvo ein Protagonistenpaar. Malvo ist eine Art „innere Stimme“ von Lester, oder „eine Abspaltung“ eines Persönlichkeitsanteils, der so handelt, wie Lester es gerne würde, aber nicht kann, da er zu gutmütig ist und zusätzlich an bestimmte gesellschaftliche Regeln glaubt. Die Szene fungiert dramaturgisch als Planszene [16] und enthält den „Anstoß der Handlung“ [17], wenn Lester den Mord in Auftrag gibt.Musikalisch eröffnet wird die Szene im Krankenhaus direkt mit dem der Figur Malvo zugeschriebenen Thema.

Fargo Abb. 3

Notenbeispiel 3

Wie schon am Notenbild ersichtlich wird, ist das Thema luftig, aber doch komplexer und vor allem auf rhythmischer Ebene durch viele unregelmäßige, synkopische Snare-Drum-Einwürfe geprägt. Es beschreibt die Figur Malvo als „smooth“ und „cool“. Das Fundament des Themas bildet ein fast walking-bass-artiger Pizzicato Bass, der jedoch nicht nur von einem, sondern von drei Kontrabässen und den Celli gespielt wird, um in der Klangfarbe des sonst orchestralen Scores zu bleiben. [18] Diese Entscheidung gibt dem Ganzen auch einen jazzigen, „Film-Noir-mäßigen“ Anklang, ohne dabei zu übertreiben. [19] Ein weiteres charakteristisches Element für Malvos Thema ist die Snare Drum. Diese Elemente – Bass und Snare – geben dem Thema einen „schleichenden“ Effekt.

Während des Dialogs der beiden Figuren pausiert die Musik zunächst. Wenn Malvo (bei TC 14:32) den Satz „In your position I would have killed that man.“ ausspricht, setzt das „Sleigh Bell Motiv“ ein, auf das später noch eingegangen wird. Ab TC 14:50 steigt zudem der rhythmisch konstant rotierende, bearbeitete Waschmaschinensound [20] auf Ebene des Sounddesigns an, und wird, während Lester die Demütigungs-Empfindungen zugibt, zusätzlich mit Paukenschlägen verstärkt. Wenn Lester aus Spaß den Satz „Maybe you should just kill him for me“ ausspricht, ist plötzlich absolute Stille (TC 15:42) in Musik und Sounddesign, um diesem wichtigen Satz Raum zu geben. Danach setzt bei TC 15:51 ein typischer, spannungserzeugender Klangteppich ein, in den sich der für die Serie bezeichnende gespenstischer Streicher-Effekt mischt, der Gefahr ankündigt. Russo hat diesen Sound mit einer gestrichenen Säge, Effekten auf der Violine und einem gestrichenen Klavier erzeugt. [21] Der Klangteppich wird gelegentlich von einzelnen Pizzicato-Basstönen und Paukenschlägen sowie dem Sleigh Bell Motiv durchbrochen und zur Blende auf die nächste Szene ist auch kurz wieder das Waschmaschinen-Sample zu hören.

Auf akustischer Ebene kommt somit alles zusammen, was der Szene zugrunde liegt und schließlich zum Mord führt: Die Waschmaschine als innerer Antrieb der Figur Lester und die von Malvo ausgehende Gefahr in Form des Klangteppichs und der Paukenschläge.

Weitere Entwicklung und Zusammengehörigkeit der beiden Themen

Die Themen der Figuren Lester und Malvo bestehen aus eigenständigem musikalischen Material und grenzen sich vor allem durch die Pizzicato-Figuren im Bass deutlich von anderen Themen, beispielsweise der Titelmusik, ab. Doch untereinander ähneln sie sich auf gewisse Weise sehr. Die Gestaltung der beiden Themen greift geschickt die Verbundenheit der Figuren auf. Der Pizzicato-Bass ist in beiden Themen sehr ähnlich, doch durch die konstant fortschreitende Bewegung (keine Pausen, durchlaufende Viertel) in Malvos Thema, das jazzige, ternäre „Swing-Feeling“, und die punktueller, konstanter und entschlossener einsetzende kleine Trommel wirkt das Thema stärker und „cooler“, aber auch etwas unheimlicher. In Lesters Thema dagegen wirkt die mit mehr Pausen durchsetzte Pizzicato-Bassfigur durch die gelegentliche Hinzunahme des Fagotts und die gerade, mechanische, binäre Spielweise („straight eights“) leicht komödiantisch. Die eingestreuten Glockenspieltöne geben der Musik zusätzlich einen harmlosen Effekt. Im Endeffekt können die beiden Themen als Variationen desselben Themas betrachtet werden, die am Anfang so weitgehend wie möglich voneinander entfernt liegen.

Im Verlauf der ersten Staffel nähert sich Lesters Thema allmählich an Malvos Thema an. In einem Interview sagt Russo:

„Während sich die Serie entwickelt und wir Lester in die Dunkelheit absteigen sehen, beginnt sich sein Thema geringfügig zu verändern, bis ich schließlich anfing, Malvos Thema für Lester zu spielen. Dieser Cue nennt sich „Lester as Malvo“ auf dem Soundtrack-Album. Es ist eine sehr subtile Wandlung von Episode zu Episode, so dass es kaum bemerkbar ist, bis man direkt zwischen der ersten und letzten Episode hin und her hört.“ [22]

Damit greift die Musik die explizite Erzählung direkt auf und stellt die Weiterentwicklung der Figur Lester auch musikalisch dar. Ein frühes Beispiel für die langsame Wandlung von Lesters zu Malvos Thema findet sich noch in der Pilotfolge: Als Pearl und Lester bei dessen Bruder Chazz und seiner Familie zu Besuch sind, wird die Figur Lester weiteren „Demütigungen“ ausgesetzt. In der Garage spitzt sich die angespannte Lage zwischen den Brüdern zu: Chazz konfrontiert Lester damit, dass er nicht zu ihm als älteren Bruder aufschauen könne und auch Pearl genug von ihm habe. Über den Dialog zwischen Pearl und Lester im Auto auf der Rückfahrt wird erzählt, dass Lester daraufhin seinen Bruder geschlagen hat, was eine ungewohnt aktive, und eine gewisse Gewalttätigkeit anklingen lassende Reaktion von Lester ist. Dazu klingt Lesters Thema (TC 28:35), allerdings bereits in abgewandelter Form: Das nun schnellere Grundmetrum des Dreiertaktes und die Bassfigur aus Lesters Thema werden mit einer um eine große Sekunde fallenden Melodielinie kombiniert, die ähnlich [23] zuvor in Malvos Thema zu hören war. Hier werden auf musikalischer Ebene schon neu inkludierte Persönlichkeitsanteile Malvos in Lester zum Ausdruck gebracht und eine weitere Entwicklung in diese Richtung sehr subtil vorbereitet.

Ein deutlicheres Beispiel für die Wandlung des Themas steckt in einer anderen Szene der Pilotfolge. Nachdem Lester seine Frau mit dem Hammer erschlagen hat, und Malvo daraufhin den Polizisten Vern Thurman (dargestellt von Shawn Doyle) in Lesters Haus erschießt, trifft Molly am Tatort ein und steigt langsam die Kellertreppe hinunter (TC 58:42). Hier klingt Lesters Thema in deutlich abgewandelter Form: Die vorher unterschwellig „komische“ Bassfigur wird wesentlich härter artikuliert und dabei von Blechbläsern verstärkt. Aus dem Dreiertakt wird ein gerader, vorwärtsschreitender Viervierteltakt. Die Glockenspieltöne treten nun nur noch vereinzelt auf. Das alles trägt dazu bei, dass das Thema nun ernster und dunkler wirkt: Lesters Wandlung in Richtung Malvo hat bereits eingesetzt.

Sehr prägnant zeigt sich die Wandlung auf Ebene des Scores ab Folge sechs. Als Lester wegen der infizierten Verletzung an seiner Hand im Krankenhaus zu sich kommt und bemerkt, dass er in Schwierigkeiten steckt, schmiedet er den Plan, eine falsche Spur zu legen und die Tat seinem Bruder in die Schuhe zu schieben. Durch einen Trick entfernt er sich für eine Weile aus dem Krankenhaus. Obwohl er permanent von der Polizei bewacht wird, sucht er erst sein eigenes Haus und anschließend das seines Bruders auf.

Während der Flucht aus dem Krankenhaus klingt im Score Lesters Thema, das dieses Mal allerdings durch Paukenschläge und massive, tiefe Akzente in den Blechbläsern einen bedrohlichen, harten und skrupellosen Charakter annimmt (TC 17:20). Wenn Lester nun die falschen Spuren im Haus seines Bruders legt, klingt ebenfalls wieder sein Thema – doch dieses Mal so stark abgewandelt, dass es auf den ersten „Blick“ nicht ganz offensichtlich als Lesters Thema zu erkennen ist: Die charakteristischen Bassfiguren sind ausgedünnt sowie stark reduziert, und auch das Glockenspiel, welches dem Thema sonst einen eher harmlosen Anklang gibt, ist verschwunden (TC 31:14). Vom ursprünglichen Thema ist also nicht viel übrig – wie ja auch von der Figur Lester, wie sie am Anfang der Serie präsentiert wurde. Im weiteren Verlauf der Serie findet Lesters Thema nur noch einmal am Anfang von Folge acht (TC 14:05) Verwendung. In dieser Szene taucht Gina Hess mit ihren beiden Söhnen an Lesters Arbeitsplatz auf und will das Geld für die Lebensversicherung ihres Mannes einfordern. Lester tritt zwar selbstsicher auf, doch befindet er sich eigentlich in Schwierigkeiten und wird von den Söhnen bedroht. Die Erinnerung an alltägliches Erleben des „alten Lester“ erklärt den Einsatz des ursprünglichen Themas.

Im ersten Drittel von Folge sieben sagt Lester bei einem Verhör gegen seinen Bruder, der mittlerweile verhaftet wurde, aus, und wird daraufhin aus dem Polizeirevier entlassen. Während Lester siegessicher aus dem Verhörzimmer läuft, spielt ab TC 12:48 die typische Pizzicato-Bassfigur Folge aus Malvos Thema dazu. Ebenso verhält es sich an einer anderen Stelle der siebten Folge, als Lester im Versicherungsbüro erfährt, dass die verwitwete Frau von Sam Hess die Summe der Lebensversicherung nicht ausbezahlt bekommt, und er sich bereit erklärt, zu ihr zu fahren, um ihr die Information zu überbringen. Dabei fasst er jedoch den Plan, ihr die Information vorzuenthalten, um die Chance zu haben, ihr nochmals sexuell näher zu kommen. Auch hier erklingt die jazzige Basslinie aus Malvos Thema (TC 31:08), was zeigt, dass Lester nun mit mehr Selbstsicherheit auftritt.

Der von Jeff Russo im oben zitierten Interview erwähnte Cue taucht erstmalig in Episode acht auf, wenn Lester zum „Insurance Salesman of the Year 2007“ gewählt wird. Wir sehen Lester auf der Bühne stehend, wie er seine aufgesetzt und kalkuliert wirkende Dankesrede hält. Er hat sich auch optisch deutlich verändert, hat einen neuen Haarschnitt, trägt einen eleganteren Anzug und wirkt betont selbstsicher. Wenn er die Bühne verlässt, werden der O-Ton und das Sounddesign komplett ausgeblendet und nur noch der Score ist zu hören: Es erklingt Malvos Thema in voller Ausführung und die psychische Transformation der Figur ist vollständig abgeschlossen.

Tatsächlich fällt gegen Ende der ersten Episode (TC 52:16) schon erstmals auf, dass Lester, nachdem er seine Frau mit einem Hammer erschlagen hat und sich darauf vorbereitet, Malvo die Tat in die Schuhe zu schieben, mit Malvos Thema unterlegt wird. Da er seine Begegnung mit Malvo wie eine Theaterszene probt und Malvo somit indirekt präsent ist, könnte das musikalische Thema darin begründet sein. Doch es kann genauso als Vorausdeutung auf das Kommende gesehen werden.

Das Sleigh Bell Motiv

Nicht nur die den Figuren Lester und Malvo zugeteilten Themen verbinden die Charaktere, sondern auch das Sleigh Bell Motiv wird für beide gleichartig verwendet. Meist ist es gewissermaßen leitmotivisch mit Malvos Intrigen und Manipulationen verbunden. So taucht es beispielsweise auf, wenn Malvo erstmals Sam Hess aufsucht um ihn „anzuschauen“, wenn er den Schneeschaufler bei „Leroy’s Motor Inn“ geschickt dazu bringt, in den Tank seiner Chefin zu pinkeln, oder als er Sam Hess’ älteren Sohn durch den Anruf über das falsche Testament informiert. Doch zum ersten Mal taucht es tatsächlich in der Szene auf, in der Lester sich von seinem ehemaligen Schulkameraden Sam Hess erniedrigt fühlt, und wird daher mit Lester eingeführt. Auf der Ebene des Scores kann dies als ein weiterer Hinweis dafür gesehen werden, dass Lester und Malvo als Protagonistenpaar dramaturgisch zusammengehören. Gleichzeitig wird durch diesen Klang das Gefühl geweckt, dass etwas passieren wird – wie wir später erfahren, wird Sam Hess Opfer von Malvos Intrigen.

Das Figurenensemble der Polizei

Das Figurenensemble der Polizei bildet die Seite der Gegenintrige [24]. Als erstes treten die Polizistin Molly Solverson (dargestellt von Allison Tolman) und der Polizeichef von Bemidji Vern Thurman auf. Sie untersuchen die Unfallstelle, an der Malvo sein Auto im Straßengraben zurückgelassen hat und finden das Wild im Kofferraum. Als sie den Fußspuren, die im Schnee zu erkennen sind, in den Wald folgen, finden sie dort den erfrorenen Mann aus dem Kofferraum. Später, wenn die beiden zum Tatort gerufen werden, an dem Sam Hess ermordet wurde, wird Polizist Bill Oswalt (dargestellt von Bob Odenkirk) vorgestellt und als Figur mit schwachen Nerven charakterisiert, da er sich an der Mordszene übergeben muss. Als letztes Mitglied der Gruppe der Polizei tritt Gus Grimly (dargestellt von Colin Hanks) in Erscheinung. Er sitzt im Streifenwagen und überwacht nachts den Verkehr, wobei er über Funk mit seiner Tochter spricht. Malvo fährt mit erhöhter Geschwindigkeit vorbei und wird von Gus gestoppt, doch anstatt mit entsprechenden Konsequenzen zu reagieren, lässt Gus ihn laufen, da er sich von Malvo bedroht fühlt und als Vater kein unnötiges Risiko eingehen möchte.

All diesen Szenen ist gemeinsam, dass die Figuren ohne Musik eingeführt werden. So wirken die einzelnen Charaktere zu Beginn erst einmal unauffälliger. Die Auftritte von Molly, Vern und Bill haben außerdem gemeinsam, dass eine gewisse Komik mitschwingt, die auch ohne das Vorhandensein von Musik wirkt. Zum Einsatz von „Comedy-Musik“ in Fargo im Allgemeinen äußert sich Jeff Russo in einem Interview:

„Interessanterweise verzichte ich meist darauf Komödienmusik einzusetzen. Wenn es eine Szene gibt, die sich von Drama zu Komödie wandelt, würde ich das nie musikalisch mitgestalten. Ich würde den Musikeinsatz einfach beenden… So wird es nie „dramedy“. Die komödiantischen Stellen trocken zu lassen, hat sich als viel effektiver erwiesen, als der Versuch sie zu betonen.“ [25]

Sich in diesen beiden Szenen für Comedy-Musik zu entscheiden, hätte die für sich schon lustige Performance sicherlich ins Lächerliche gezogen – so wirken die Szenen zwar unbeholfen, aber nicht übertrieben. Wahrscheinlich wäre sonst auch dem Potential zur weiteren, seriösen Entwicklung der Charaktere eher geschadet worden. Insbesondere der Figur von Molly, die am Ende diejenige sein wird, die den Fall löst, hätte dies die Möglichkeit, ernst genommen zu werden, erheblich erschwert. Die Alternative wäre gewesen, sich musikalisch auf die dramatischen Aspekte der Szenen zu konzentrieren und die ernste Seite der Erzählung zu betonen. Doch dies hätte gleichzeitig sehr viel vorweg genommen, indem die Figuren von vorne herein mit einer gewissen Erwartungshaltung seitens des Publikums belegt worden wären.

Die Szene, in der Gus Grimly eingeführt wird, hebt sich von den anderen beiden beschriebenen Szenen ab: Während der neutralen Stimmung des Gesprächs über Funk zwischen Gus und seiner Tochter ist – nach dem Ausklang der Musik der vorangestellten Szene – erst einmal Stille im Score. Wenn Gus nun auf Malvo trifft, baut sich unweigerlich Spannung (Suspense) auf, da die Zuschauenden bereits wissen, in welcher Gefahr sich der Polizist befindet. Erst als letzte Steigerung dieses Spannungsbogens kommen auf der Ebene des Scores einzelne, aber einem Metrum folgende Paukenschläge dazu. Diese dunklen Akzente reichen bereits aus, um das Spannungslevel zu potenzieren und nehmen die von Malvo ausgehende Bedrohung musikalisch auf. Wenn Gus Malvo ohne Strafe davonfahren lässt, fährt dieser mit einem letzten Paukenschlag davon und Gus bleibt angespannt zurück. Der minimalistische Score illustriert hier also die Atmosphäre und unterstreicht die Gefahr. Gus’ Thema wird erst viel später im Verlauf der ersten Staffel eingeführt.

Dramaturgisch bildet diese Szene den „Cliffhanger“ der Pilotfolge. Außerdem wird die zuvor von Malvo erschossene Figur des Polizisten Vern, der ja auch als Familienmensch eingeführt und charakterisiert wurde, nun durch die Rolle von Gus ersetzt. [26]

Mollys Thema

Gegen Ende der Pilotfolge wird die Figur der Polizistin Molly erstmals musikalisch begleitet, wenngleich auch noch vorsichtig, um nicht zu stark zu betonen, dass sie diejenige sein wird, die den Kriminalfall löst. Molly ist die erste Person, die nach den Morden an Lesters Frau Pearl und dem Polizeichef Vern am Tatort eintrifft und die Aufgabe hat, alles abzusichern, bis Verstärkung eintrifft. Noch bevor sie den Keller betritt, in dem die Leiche von Pearl liegt, findet Lester eine Lösung, sich aus der Situation als einziger offensichtlicher Verdächtiger zu befreien, indem er gegen die Wand rennt und bewusstlos am Boden liegen bleibt. Später, wenn der Tatort abgesichert ist, fährt Molly zu Ida Thurman (dargestellt von Julie Ann Emery), der Frau von Vern, um ihr mitzuteilen, dass ihr Ehemann im Dienst erschossen wurde. Die tragische Fallhöhe und emotionale Wirkung der Szene ist besonders hoch, da vorher etabliert wurde, dass die beiden bald zum ersten Mal Eltern werden.

Die Szene am Tatort ist zunächst von rein funktionaler Spannungsmusik geprägt. Später folgt auch Lesters Thema, wenn dieser Erfolg mit seiner Idee gegen die Wand zu laufen hat. Nach einem Zeitsprung, wenn Molly zu Ida fährt, liegt der Fokus auf ihr und auch der Score begleitet ihre innerliche Verfassung: Eingeleitet wird der Musikeinsatz von einem aus zwei aufsteigenden kleinen Terzen bestehenden Motiv, gespielt solistisch besetztem Horn und Viola. Dieses Motiv zieht sich in verschiedenen Variationen durch die ganze Staffel und taucht immer in Verbindung mit den Ereignissen im Keller auf – beispielsweise, wenn Molly in der Sache ermittelt oder Lester mit den „Nachwirkungen“ zu kämpfen hat. Es ist immer mit der zentralen Handlung verknüpft, nie mit den Nebenhandlungssträngen, die im Laufe der ersten Staffel noch auftauchen. An dieser Stelle bleibt das Motiv erwartungsvoll auf dem letzten Ton stehen und mündet in „Mollys Thema“. Dieses Thema kann als eine Variation der Titelmusik gesehen werden, da sich das melodische und rhythmische Material unmittelbar daraus ableitet. Die Melodie entspringt der selben melodischen Phrase (jeweils T 1), wird aber anders harmonisiert. Ebenso wird das Thema, wenn es in Verbindung mit der Figur Molly eingesetzt wird, von einem solistischen „Ethno-Pluck-Sound“ – wahrscheinlich ein gezupftes skandinavisches Langspil [27] – gespielt. Die Verwandtschaft zur Titelmusik lässt sich so erklären, dass Molly als Polizistin von Bemidji eine direkte Vertreterin des Ortes ist, was auch musikalisch eingefangen wird. Im Vergleich zu den anderen Figuren lässt sich an der Figur Mollys über die zehn Episoden keine auffällige Wandlung beobachten. Sie hat von Anfang an die richtige Vorahnung in Bezug auf die Mordfälle in Lesters Keller und verfolgt diese Idee kontinuierlich und schließlich erfolgreich. Das ist auch musikalisch erkennbar, denn ihr Thema wird zwar im Laufe der ersten Staffel auch variiert, entwickelt sich aber in keine bestimmte Richtung weiter. Dramaturgisch ist Molly die „ermittelnde Figur“, der die Zuschauenden, die von Anfang an über ein Mehrwissen verfügen, beim Ermitteln zuschauen. Somit hat sie auch von Anfang an dasselbe Thema.

Fargo Abb. 4

Notenbeispiel 4

Gus’ Thema

Das dem Polizisten Gus Grimly zugeordnete Thema wird von einem auf dem Langspil gezupften Ostinato eingeleitet. Über die Instrumentation ist so auch eine Verbindung zu Mollys Thema vorhanden. Erstmals zu hören ist es in der zweiten Folge, wenn Gus – wie so oft üblich – in der Abteilung „Animal Control“ aushelfen muss und gerade versucht einen Hund einzufangen. Genauso wie die Figur des Polizisten wächst das Thema im Verlauf der ersten Staffel. Es wird größer und kräftiger in der Instrumentation – wie auch der Charakter Gus’ in der weiteren Handlung mutiger und sicherer wird. Beispielsweise wird in Folge sieben (TC 35:20) das zarte Langspil-Ostinato durch die dichtere Streichersektion ersetzt und in Folge fünf kommen phasenweise mehr stärkende Perkussionsinstrumente dazu (TC 27:10).

Fargo Abb. 5

Notenbeispiel 5

Fazit

Häufig weisen „herkömmliche“ TV-Serien folgendes Muster bei der Verwendung von Musik auf: Die narrative Information wird offensichtlich, auf eine eins zu eins transkribierende Weise durch die Filmmusik und das Sounddesign nachverfolgt. [28] Damit soll erreicht werden, dass Zuschauende, die zu Hause während des Fernsehschauens anderen Aktivitäten nachgehen, dem Erzählten problemlos folgen können. Außerdem zieht der wesentlich kleinere Fernsehbildschirm die Zuschauenden nicht so stark in die Erzählung hinein, wie das im Kino der Fall ist, und Ablenkungen ereignen sich schnell. [29] Dieses Konzept wird bei den neueren, sogenannten „Autorenserien“ aufgelöst. Neue Rezeptionsweisen (DVD/BD, Video on Demand/Streamingportale, aber auch Heimkinoanlagen) bieten Unabhängigkeit zu einem festgelegten Sendetermin und eröffnen neue, gezieltere Möglichkeiten des Rezipierens. [30]

Die Filmmusik der Serie Fargo ist von Komponist Jeff Russo über die zehn Folgen hinweg wie für einen zehnstündigen Kinofilm gestaltet. [31] Die Musik beschreibt Charaktere, Stimmungen und Settings in genau dem dargestellten Moment. Die Themen folgen den dargestellten Figuren sehr langsam und subtil in ihrer Entwicklung. Anfangs wird nichts vorweggenommen, aber das thematische Material ist von vorne herein so angelegt, dass diese Entwicklungen auf musikalischer Ebene mitgestaltet werden, oder sich vielmehr darin widerspiegeln können. In der Bauweise der Themen liegt auch mitbegründet, dass sie selten stark in den Vordergrund treten: Das Titelthema und Mollys Thema ausschließend bestehen die Themen eher aus charakteristischen Elementen, wie Walking-Bass oder Snare Drum, aber nicht aus schnell einprägsamen weitläufigen oder kleinteiligen Melodien.

Das thematische Material wird leitmotivisch und in Form von „Visitenkarten“ für die Figuren eingesetzt, wobei der Einsatz nie plakativ wirkt. Es gibt kaum Musikstücke, die in gleicher Form und Ausgestaltung mehrmals auftreten – selbst, wenn sich die Varianten der Themen sehr ähneln, gibt es doch feine Unterschiede. Die entsprechenden Cues werden außerdem sparsam eingesetzt. Durch die geschickten Variationen wirken die Themen, mit denen Jeff Russo gearbeitet hat – und die er bis zu 60% noch vor dem Erhalt der Schnittfassung konzipiert hat [32] –, beim Einsatz nie aufdringlich und sind teilweise nicht sofort erkenntlich.

Die Filmmusik greift des Weiteren Emotionen oder die zugrunde liegende psychologische Situation auf und kreiert Atmosphären. Sie überträgt den inneren Zustand der Figuren oder auch die äußere Stimmung einer Szene auf die akustische Ebene. Manchmal kommentiert sie das Dargestellte dezent. Die Musik ist somit als narratives Element eingesetzt, das sich mit dem Bild verbindet und die Zuschauenden verlässlich durch die Serie trägt.

Jeff Russo hat seine Themen so konzipiert, dass er damit die Weiterentwicklung der Figuren musikalisch „mitverfolgen“ kann. Insbesondere an den Themen der Figuren Lorne Malvo und Lester Nygaard ist das ersichtlich, da sie anfangs als getrennte Themen anmuten, sich später aber als Variation voneinander erklären. Sonstige Variationen der Themen ergeben sich in Abhängigkeit zum Erzählten.

Phillip Feneberg, Juli 2016

(Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus der theoretischen Abschlussarbeit im Masterstudiengang Filmmusik an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Betreuerin: Christine Lang, Zweitgutachter: Prof. Ulrich Reuter.)

Literatur

Bullerjahn, Claudia: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik. Augsburg: Wißner

Verlag, 2001.

Davis, Richard: Complete Guide to Film Scoring. The Art and Business of Writing

Music for Movies and TV. Boston: Berklee Press, 2. Auflage 2010.

Karlin, Fred; Wright, Rayburn: On the Track. A Guide to Contemporary Film Scoring.

New York, London: Routledge, 2. Auflage 2004.

Kohli, Hansjörg: Musik in fiktionalen Fernsehformaten. In: Moormann, Peter (Hg.):

Musik im Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien. Wiesbaden:

2010.

Lang, Christine/Dreher, Christoph: Breaking Down Breaking Bad. München: Fink

Verlag, 2013.

Schneider, Enjott: Komponieren für Film und Fernsehen. Ein Handbuch. Mainz:

Schott Musik International, 3. Auflage 2005.

Stutterheim, Kerstin: Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis

filmischen Erzählens. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH, 2015.

Internet und Zeitungsartikel

Buxton, Richard: „This is a true story…Interview with Jeff Russo“, Tracksounds,

Online: http://www.tracksounds.com/specialfeatures/Interviews/interview_ jeff_russo_2014.htm, 2014. (Zugriff 06.02.2016)

Galas, Marjorie: „Composer Jeff Russo brings new sounds to FARGO“, Variety 411,

Online: http://variety411.com/article/composer-jeff-russo-brings-new-sounds-to-fargo-4129082/#?search=&category=0, 2013. (Zugriff 04.02.2016)

Lang, Christine: „Mail: dramaturgie“. c.lang@filmuniversitaet.de, 04.02.2016.

Rosenbloom, Etan: „The Lonesome, Crowded Midwest: Jeff Russo’s Music for

Fargo“, ASCAP, Online: http://www.ascap.com/playback/2014/04/radar-report/jeff-russo-fargo-expo.aspx, 10.04.2014. (Zugriff 06.02.2016)

Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“, Film Music Magazine, Online:

http://www.filmmusicmag.com/?p=13244, 01.07.2014 (Zugriff 04.02.2016)

Topel, Fred: „Exclusive Interview with Jeff Russo on the music of Fargo“, Crave

Online, Online: http://www.craveonline.com/site/716749-exclusive-interview-jeff-russo-on-the-music-of-fargo, 30.06.2014. (Zugriff 06.02.2016)

Audiovisuelles Material

Hawley, Noah: „Fargo – Season 1“, FX Network, http://www.netflix.com (DE), 2015.

http://www.netflix.com (US), 1991.

Russo, Jeff: „Fargo“, Sony Classical / Sony Masterworks, 2014.

[1] Topel, Fred: „Exclusive Interview with Jeff Russo on the music of Fargo“. Online: http://www.craveonline.com/site/716749-exclusive-interview-jeff-russo-on-the-music-of-fargo (Zugriff am 06.02.2016).

[2] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“. Online: http://www.filmmusicmag.com/?p=13244 (Zugriff am 04.02.2016).

[3] Topel, Fred: „Exclusive Interview with Jeff Russo on the music of Fargo“.

[4] Buxton, Richard: „This is a true story… – Interview with Jeff Russo“. Online: http://www.tracksounds.com/specialfeatures/Interviews/interview_jeff_russo_2014.htm (Zugriff am 06.02.2016).

[5] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[6] Rosenbloom, Etan: „The Lonesome, Crowded Midwest: Jeff Russo’s Music for Fargo“. Online: http://www.ascap.com/playback/2014/04/radar-report/jeff-russo-fargo-expo.aspx (Zugriff am 06.02.2016).

[7] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[8] Vgl. Stutterheim, Kerstin, 2015, S. 121.

[9] Sämtliches in dieser Arbeit verwendetes Notenmaterial wurde vom Verfasser als Leadsheet oder Particell transkribiert.

[10] Galas, Marjorie: „Composer Jeff Russo brings new sounds to FARGO“. Online: http://variety411.com/article/composer-jeff-russo-brings-new-sounds-to-fargo-4129082/#?search=&category=0 (Zugriff am 04.02.2016).

[11] Sämtliche in dieser Arbeit verwendete Zitate wurden vom Verfasser aus dem Englischen übersetzt.

[12] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[13] Rosenbloom, Etan: „The Lonesome, Crowded Midwest: Jeff Russo’s Music for Fargo“.

[14] Topel, Fred: „Exclusive Interview with Jeff Russo on the music of Fargo“.

[15] Vgl. Lang, Christine, 2016: Mail vom 04.02.2016 „dramaturgie“.

[16] Ebd.

[17] Vgl. Stutterheim, Kerstin, 2015, S. 137.

[18] Rosenbloom, Etan: „The Lonesome, Crowded Midwest: Jeff Russo’s Music for Fargo“.

[19] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[20] Im Bild ist keine Waschmaschine zu sehen – das „Waschmaschinen-Sounddesign“ wurde auch von Komponist Jeff Russo gestaltet. Vgl. Rosenbloom, Etan: „The Lonesome, Crowded Midwest: Jeff Russo’s Music for Fargo“.

[21] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[22] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[23] Takt 5 Notenbeispiel „Malvo’s Theme“: Hier fällt die Linie mit gleichem rhythmischen Muster um eine kleine Sekunde.

[24] Vgl. Lang, Christine; Dreher, Christoph, 2013, S. 148.

[25] Schweiger, Daniel: „Interview with Jeff Russo“.

[26] Vgl. Lang, Christine, 2016: Mail „dramaturgie“.

[27] Ein Langspil ist eine skandinavische bzw. isländische Form der Bordunzither.

[28] Vgl. Kohli, Hansjörg, 2010, S. 91 ff.

[29] Vgl. Davis, Richard, 2010, S. 163 ff.

[30] Vgl. Lang, Christine; Dreher, Christoph, 2013, S. 11.

[31] Topel, Fred: „Exclusive Interview with Jeff Russo on the music of Fargo“.

[32] Ebd.


 
 
 

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