Monatsarchiv für September 2015

 
 

Was macht die Qualität eines Kinofilms aus? – von Christine Lang

Beitrag zum Aufruf der Akademie der Künste sich an der „Debatte um die Qualität des deutschen Films“ zu beteiligen und sie „neu zu entfachen und das Bewusstsein für Qualität zu schärfen“:

„Das Spiel erscheint im Vergleich zur Kunst als inhaltslos, die Wissenschaft als wirkungslos.“ (Yuri Lotman)

Wichtig für die Qualität eines Kinofilms ist, dass etwas Interessantes auf eine interessante Art und Weise erzählt wird. Von Bedeutung ist auch, dass das in und mit ihm Erzählte etwas mit der Welt um uns herum und mit tatsächlichen Erfahrungen und der Weltwahrnehmung der Filmschaffenden zu tun hat – und dass sich in dem Film eine Haltung zu den Dingen reflektiert. (Das gilt auch für Genre-Filme, deren Ziel nicht die Imitation sein sollte, sondern die Aktualisierung und die Differenz innerhalb der Wiederholung.) Neues im Film entsteht vor allem in der Beziehung von Form und Inhalt. Fiktionaler Film wird in Deutschland viel zu oft als Mittel des Belehrens oder des Aufklärens betrachtet. Die Qualität eines Films liegt aber nicht in seiner journalistischen oder ethischen Funktion.

Ein Film ist vor allem dann interessant, wenn er die komplexe Kunstform des Erzählens auslotet – und gegenwärtig hält.

Dabei ist es die Form, die entscheidend ist, weil sie den Inhalt eines Films transportiert. Was nützt ein Film mit einer politischen Botschaft, wenn er seine Zuschauenden zu politisch Unmündigen degradiert, indem er beispielsweise das Ergreifende mittels kitschiger Streicher-Musik zu einem Gefühls-Porno macht? Was soll das, wenn die Kamera Opfer durch deren ausgestellten Schauwert doppelt zum Opfer macht?

Die Qualität eines Films liegt in seiner ästhetischen Form. In ihr drückt sich das Rezeptionsverhältnis zwischen Filmschaffenden und Zuschauenden aus. Es sollte zur Voraussetzung haben, dass Zuschauende als Dialogpartner, als Mitschöpfende eines Films betrachtet werden.

Wenn Filmschaffende wissen was sie ästhetisch tun, können Zuschauende „Vertrauen zu ihnen fassen“ und sind bereit, sich auf das Fiktions- Spiel einzulassen und ihren Beitrag dazu zu leisten. Dann sind sie vielleicht auch bereit, der im Film repräsentierten Weltwahrnehmung Aufmerksamkeit zu schenken. Der Film kann dann seine besonderen Möglichkeiten entfalten, die – um es mit Yuri Lotman zu sagen – in einer einzigartigen Verbindung des spielerisch Darstellenden, des Sprachlichen und des Künstlerischen liegen.

Sep 2015