Zitat des Monats, Dezember 2016
„Edelkitsch“ hat eine klare Mobilisierungsfunktion. Erstens ist das, was er ausdrückt, leicht verständlich und der Mehrheit zugänglich, zweitens fordert er eine gedankenlose, emotionale Sofortreaktion, und drittens handhabt er die Schlüsselwerte eines politischen Regimes oder ideologischen Systems als harmonisch geschlossene Einheit, deren Wahrheit der besseren Wirkung wegen durch „Schönheit“ verklärt werden muss. letztendlich bewirkt diese eigenartige Verknüpfung von wahrem und schönem eine Stilisierung, die offensichtlich mythische Muster ansprechen soll. Politische Mythen werden mit religiösen verschmolzen. (…) Der „Edelkitsch“ der Nazis war eingebettet in eine „Weltuntergangsphantasie“, deren wichtigstes Versatzstück der Tod war. Kitsch, der das Leben verherrlicht, wirkt offenbar nur kurz und schwach auf das Gefühl. Kitsch in Verbindung mit Tod und Opfergang dagegen scheint der Schlüsselreiz für eine bestimmte Spielart extremster politischer Mobilisierung zu sein. Über die Gründe dieses Wirkungsgefälles lassen sich nur Vermutungen anstellen.
Kommunistischer Kitsch will das Diesseits verklären, mit Parolen wie „Es lebe das Leben!“. Doch die Verherrlichung des Lebens passt nicht ins Glaubensgefüge der abendländischen „jüdisch-christlichen“ Überlieferung. Folglich kann diese Art Kitsch die tieferen Schichten der Glaubensbereitschaft nicht ansprechen. Der nationalsozialistische Typ von „Edelkitsch“ erschließt im Unterschied zum kommunistischen diese Tiefenschichten und ihre Grundthemen: Tod, Auferstehung, Ewigkeit. Wesentlich für diesen Rahmen von Kitsch und Tod ist die Spannung zwischen Gegensätzen, in dem zwei entgegengesetzte Sehnsüchte zugleich angesprochen werden: Harmonie und Vereinigung einerseits, und andererseits Zerstörung und Tod. Diese Mixtur von Eros und Thanatos war geeignet, in der extremsten politischen Mobilisierung der Neuzeit Massen in den Wahn zu treiben.
In: Saul Friedländer: Kitsch und Tod – Der Wiederschein des Nazismus. Fischer Taschenbuch Verlagm 1999, übersetzt von M. Grendacher und G. Selb; S. 14-17