VIDEOGRAMME EINER REVOLUTION Einführung im Arsenal Kino, 2.3.2014 von Christine Lang
Ich freue mich über die Einladung, heute über den Film ‚Videogramme einer Revolution‘ zu sprechen. In Anbetracht der gebotenen Kürze werde ich vor allem auf zwei Aspekte eingehen: zum einen eine medienhistorische Perspektive auf den Film vorstellen, zum anderen diese Perspektive mittels dramaturgischer Überlegungen historisch, auf den Zusammenhang von Theatralität und Demokratie eingehend, etwas ausdehnen.
‚Videogramme einer Revolution‘ entstand 1992 in einer Zusammenarbeit von Harun Farocki mit dem seit 1981 in Deutschland lebenden und lehrenden rumänischen Autor Andrei Ujică. Innerhalb des Werks von Harun Farocki lässt sich der Film in die Reihe seiner Found-Footage-Filme, oder um einen vielleicht adäquateren Begriff zu nehmen: in die seiner Archivkunstfilme[1] einordnen. ‚Videogramme einer Revolution‘ besteht komplett aus bereits vorhandenem Archivmaterial, einerseits aus offiziellen Bildern des rumänischen Fernsehens, anderseits aus privat gedrehtem Aufnahmen verschiedener Zeit- und Augenzeugen. Im Abspann des Films sind die Quellen angegeben, sie können also von den Zuschauenden bei Bedarf im Anschluss nachvollzogen werden.[2]
‚Videogramme einer Revolution‘ bot bereits einigen Theoretikern Anlass für das Weiterverfolgen der innerhalb des Film selbst angestellten medientheoretischen Überlegungen, wie beispielsweise die über die Rolle des Fernsehens in einer Revolution und über die Rolle von Kameras und Bildproduktion in Hinsicht auf politische Prozesse.[3] Das Fernsehen repräsentierte ja die Rumänische Revolution nicht nur, sondern es diente auch ihrer Authentisierung und Autorisierung.[4] Einerseits spielte das Fernsehen, wie auch in den anderen demokratischen Umwälzungen in den osteuropäischen Ländern 1989, eine Rolle bei deren Entstehung; so gelangten über das, zumindest im Westen Rumäniens zu empfangende Fernsehen aus Ungarn und Jugoslawien Informationen in das ansonsten von Informationen abgeschnittene Rumänien. Zum anderen spielte sich die Revolution in Rumänien in einer besonderen Weise vor den Kameras ab, die im Verlauf der Revolution, nachdem die Dissidenten das staatliche Fernsehen erobert hatten, zunehmend im Dienst derselben standen.
Wie sich dies zugetragen hat und vor allem in welchem Verhältnis die Bilder der Revolution zur Revolution selbst stehen, ist Gegenstand des Films ‚Videogramme einer Revolution‘.
“21.12.1989 – Bukarest”
Während Ceaușescus letzten Rede im Amt, die er, um seine Macht zu demonstrieren, vor Zehntausenden einbestellter “Anhänger” hält, und die im Fernsehen live übertragen wird, kommt es zu einer Störung: Als Ceaușescu bei der an die Organisatoren der Demonstration gerichteten Danksagung angelangt ist, verhält sich das Publikum nicht mehr ruhig; in der Menge entsteht ein Rumoren. Ceaușescus und seine Funktionäre begreifen nicht, was los ist. Einmal heißt es, jemand würde schießen, dann, Leute würden ins Gebäude eindringen wollen und später, dass es sich ja vielleicht um ein Erdbeben handeln könne. Im Fernsehen ist live zu sehen, wie erst die Fernsehkamera wackelt, es dann eine Bildstörung gibt und schließlich die Übertragung gänzlich abgebrochen wird – das Livebild wird durch eine rote Tafel ersetzt.
Farocki und Ujică zeigen in ihrem Film zunächst diese Liveübertragungsbilder des Fernsehens bis zu jener Unterbrechung unkommentiert, um sie in einem zweiten Durchgang mit den nicht gesendeten Bildern zu vergleichen und zu kommentieren. Sie gehen der Frage nach, was der Auslöser für die Unruhe hätte sein können, und ob dies eventuell den Bildern abzulesen sei. Doch weder den weiteren Aufnahmen des staatlichen Fernsehens noch einer, wie es im Film heißt, Weekly-Newsreel-Filmkamera sind zu entnehmen, was der Auslöser für die Unruhe war. So wird das Anliegen des Films deutlich, zu zeigen, dass die Bilder als Beleg nicht taugen, dass von ihnen eine “Wahrheit” nicht abzulesen ist – von denen der Situation auf dem Platz ebenso wenig wie denen in den späteren Scharmützeln zwischen Dissidenten und der, wie man annehmen muss, Securitate-Polizei. So verlagert sich der Fokus in ‚Videogramme einer Revolution‘ vor allem auf die symbolische Bedeutung der Bilder, auf den Zusammenhang von visueller Repräsentation und Macht, denn der Zusammenbruch der polititischen Ordnung überträgt sich durchaus, aber eben auf vermittelte Art auf die Bilder: In dem Augenblick, in dem das staatstragende Bild Ceaușescus zusammenbricht, bricht das Bild stellvertretend für die Autorität zusammen.
Wie Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier herausgearbeitet hat, kristallisiert sich in dieser Szene dazu ein medienhistorischer Umbruch, der die multiperspektivische Phase der Postmoderne einleitete:[5] Der Moment, so heißt es im Kommentar des Films, in dem die Filmkamera des Weekly Newsreel von Ceaușescu hinüberschwenkt zu den Unruhen auf dem Platz, lässt sich als sichtbarer, erst mal nur von Neugier des Kameramanns getragener, aber metaphorisch durchaus wirksamer „Seitenwechsel“ deuten; zudem manifestiert sich in diesem Wegschwenken von dem einen staatstragenden Bild schon die Diversifikation der Blicke. Ab hier werden es – wie es in einem weiteren Insert heißt – „immer mehr Kameras“, die die soziale Umbruchsituation in den Blick nehmen. In dieser Disposition zeichne sich, so Kreimeier weiter, das Ende des traditionellen Dokumentarismus ab, wie auch eben der Beginn der Multiperspektivität, in der sich die Blicke und die Rollen der Medien neu verteilen.[6] In der Rumänischen Revolution 1989 läuft das Medium Livefernsehen einerseits, durch seinen Einfluss auf das reale Geschehen, zur Hochform auf, zum anderen zeichnet sich hier sein Ende ab. Der Schwenk der Kamera repräsentiert insofern nicht nur einen Seitenwechsel, sondern einen Paradigmenwechsel: Die demokratischen Revolutionen der Gegenwart – wie vor allem die in Ägypten 2011 – werden von unzähligen Kameras begleitet und dokumentiert, denn die Bilder der Smartphones haben inzwischen die offizielle Kriegsberichterstattung zu einem großen Teil ersetzt.[7] Diese Entwicklung scheint in der Rumänischen Revolution – kurz vor der Epoche der allumfassenden Digitalisierung – ihren Anfang gefunden zu haben. Und besonders interessant an Farockis und Ujicăs Film ist, dass sie dies geradezu prognostizierten, indem sie die Kameras als Akteure im revolutionären Prozess deuten, sie quasi als agierende Subjekte behandeln.
„What an actor!“
Die beschriebene Situation auf dem Platz ist auch auf der erzählerischen Ebene des Films ein bedeutender Moment. Die Szene hat eine wichtige dramaturgische Funktion: Sie ist das klassische “auslösende Ereignis” in der geschlossenen Dramaturgie, der Anstoß der Handlung, oder, nach Gustav Freytag, das “erregende Moment”[8]. Obwohl ‚Videogramme einer Revolution‘ als ein medial selbstreflexiver Essayfilm dies zunächst kaum vermuten lässt, ist es wohl der dramaturgisch am geschlossensten erzählte Film Harun Farockis. Man könnte die Dramaturgie von ‚Videogramme einer Revolution‘ klassisch tragödisch nennen: Es gibt einen einführenden „Botenbericht“, dem folgt bald darauf das „auslösende Ereignis“, die Handlung steigert sich daraufhin bis zu ihrem Umschwung, der „Peripetie“, die sich in dem Moment verorten lässt, in dem Constantin Dăscălescu den Rücktritt der Regierung bekannt gibt. Daraufhin steigert sich die Entwicklung bis hin – und dies ist Bestandteil vieler griechischer Tragödien – zum „Tyrannenmord“ als „Katharsis“. Und es gibt einen „griechischen Chor“ – der am Ende auch tatsächlich singt.
Die Dramaturgie des Films generiert sich dabei aus seinem Sujet, ähnlich wie es in anderen Filmen Farockis der Fall ist.[9] In ‚Videogramme einer Revolution‘ ist es der formgebende, enge Zusammenhang von Tragödie, Theatralität und Demokratiebildung: Im dokumentarischen Anteil des Materials, das auf der ersten Ebene durchaus als Lehrmaterial und Einführung in die Ereignisse der Rumänischen Revolution dienen kann, zeigt sich die Formlosigkeit und die Prozesshaftigkeit eines politischen Ereignisses und das soziale Durcheinander während eines Kulturumbruchs. Es zeigen sich zwar auch utopische Momente der kollektiven Selbstregierung – aber vor allem kann man sehen, welche Rolle Rhetorik, Performativität und Theatralität bei der sich formenden neuen Demokratie spielen. Theatralität ist tragender Bestandteil in der Begründung einer demokratischen Ordnung, zugespitzt formuliert käme eine antitheatrale Demokratie sogar ihrem Ende gleich.[10] Demokratie und Theater sind in der griechischen Antike gleichzeitig entstanden[11] – Redner und Schauspieler sind auf ähnliche ästhetische Strategien angewiesen – und Theatralität wandert seitdem durch die Geschichte von einem zum nächsten Medium.
Bereits in der Prologszene von ‚Videogramme einer Revolution‘ offenbart sich eben jenes theatrale, darstellerische Moment durch das mediatisierte Verhalten der jungen, verletzten Frau, die einen revolutionären “Botenbericht” performt, aber auch durch das Performativ der Kamera, die recht aufdringlich – mit der deutlichen Absicht der Emotionalisierung – auf die Wunde im Gesicht der Frau zoomt.
Im Verlauf des Films mag dann auch auffallen, dass im Fernsehstudio erst ein Schauspieler (Ion Caramitru), dann ein Poet (Mircea Dinescu) sowie bald darauf ein Theaterdirektor (Alexa Vissarion) das Wort ergreifen und die Demokratie auf den Weg bringen. Walter Benjamin formulierte einst, dass von der Aufnahmeapparatur der Kamera eine besondere Auslese vorgenommen werde, aus der sowohl ein Diktator als auch ein Star als Sieger hervorgehen.[12] Dementsprechend performen die vor allem in den symbolischen Künsten geübten Dissidenten die Revolution wie angehende Stars vor den Fernsehkameras, vor jenen Kameras, die zuvor in der Diktatur mit ihrem Bildermonopol und Bilderverbot ausschließlich auf die Ceaușescus gerichtet waren. In ‚Videogramme einer Revolution‘ werden also sowohl die Bedingungen einer Mediendemokratie sichtbar, in der die politischen Handlungsspielräume stark von den Medien bestimmt werden, als auch der historisch weiter zurückreichende Zusammenhang von Theatralität und Demokratie.
[1] Vgl. Baumgärtel, S. 179. / Blümlinger, S. 82.
[2] Es gibt in Harun Farockis Werk einen zweiten Film, ‚Die Führende Rolle‘ (1994), in dem das Fernseh-Archivmaterial aus Ost- und West-Deutschland zur Zeiten des Mauerfalls miteinander montiert uns sich gegenübergestellt wird, der sich so einem ähnlichem Unterfangen widmet wie Videogramme einer Revolution.
[3] Unter Vorbehalt der Unvollständigkeit sind einige der Texte in der Literaturliste aufgeführt.
[4] Vgl. Wenzel, S. 275.
[5] Kreimeier, S. 180ff.
[6] ebd, S. 181.
[7] Das offizielle, staatliche Fernsehen spielt heute vor allem eine Rolle in regulierten politischen Ordnungen – unter ihren jeweiligen Bedingungen. In der parlamentarischen Demokratie, zugleich Mediendemokratie Deutschlands wurde in der Architektur des Bundestags von Norman Foster sowohl der Platz als auch die optische Ausrichtung für Kameras von vorneherein berücksichtigt.
[8] Freytag, S. 28.
[9] In dem ebenfalls in diesem Programm heute gezeigten ‚Wie man sieht‘ (1986) verhält sich dies ähnlich. Hier wird das Sujet des “Geflechts” zur formgebenden Basis der eher episch strukturierten Dramaturgie.
[10] Rebentisch, Juliane: ‚Eine antitheatrale Demokratie käme ihrem Ende gleich.‘ Interview von Pascal Jurt. Jungle World Nr. 34, 23.8.2012
[11] ausführlich dazu: Thomson, George (1941): Aischylos und Athen. Eine Untersuchung der gesellschaftlichen Urspünge des Dramas. Berlin, 1957
[12] “Rundfunk und Film verändern nicht nur die Funktion des professionellen Darstellers sondern genauso die Funktion dessen, der, wie es der politische Mensch tut, sich selber vor ihnen darstellt. Die Richtung dieser Veränderung ist, unbeschadet ihrer verschiedenen Spezialaufgaben, die gleiche beim Filmdarsteller und beim Politiker. Sie erstrebt die Ausstellung prüfbarer, ja übernehmbarer Leistungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, wie der Sport sie zuerst unter gewissen natürlichen Bedingungen gefordert hatte. Das ergibt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen.” Benjamin, S. 28.
Literatur:
Baumgärtel, Tillmann: Vom Guerillakino zum Essayfilm. Harun Farocki. Werkmonografie eines Autorenfilmers. Berlin, 1998.
Benjamin, Walter (1936): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Suhrcamp 1963, S. 7-44.
Blümlinger, Christa: Sichtbares und Sagbares. Modalitäten historischer Diskursivität im Archivkunstfilm. In: Hohenberger, Eva; Keilbach, Judith: Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte. Berlin, 2003, S. 82-97.
Freytag, Gustav (1863): Die Technik des Dramas. Berlin, 2003
Kreimeier, Klaus: Enlargement of the Field of View. About ‚Videograms of a Revolution‘. In: Harun Farocki. Against What? Against Whom?, London 2010, S. 179-185.
Rebentisch, Juliane: Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz. Berlin 2012
Rebentisch, Juliane: Eine antitheatrale Demokratie käme ihrem Ende gleich. Interview von Pascal Jurt.Jungle World Nr. 34, 23.8.2012. Online: http://jungle-world.com/artikel/2012/34/46115.html (Zugriff 1.3.2014)
Thomson, George (1941): Aischylos und Athen. Berlin, 1957.
Wenzel, Eike: Hinter der sichtbaren Oberfläche der Bilder. Harun Farockis dokumentarische Arbeit an gesellschaftlichen Umbruchsituationen. Zu ‚Videogramme einer Revolution‘ und ‚Die Führende Rolle‘. In: Aurich, Rolf; Kriest, Ulrich (Hg.): Der Ärger mit den Bildern. Die Filme von Harun Farocki, Stuttgart, 1998, S. 269- 286.
Young, Benjamin: On Media and Democratic Politics: ‚Videograms of a Revolution‘. In: Elsaesser, Thomas (Hg.) Harun Farocki. Working on the Sight Lines. Amsterdam 2004, S. 245-260.
Die Stills sind der DVD ‚Videograms of a Revolution‘ (1992) entnommen. Facets Video Chicago, USA 2006
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