Zitat des Monats – Theodor W. Adorno

„Kunst vermag einzig noch durch konsequente Arbeitsteilung hindurch ihre humane Allgemeinheit irgend zu realisieren. Alles andere ist falsches Bewusstsein. Gebilde von Qualität sind, als in sich durchgeformt, objektiv weniger chaotisch als ungezählte mit ordentlicher Fassade, die ihnen notdürftig aufgeklatscht ist, während ihre eigene Gestalt darunter zerbröckelt. Das stört wenige. Tief neigt der bürgerliche Charakter dazu, wider bessere Einsicht am Schlechten festzuhalten; ein Grundbestand von Ideologie ist es, daß sie nie ganz geglaubt wird, von Selbstverachtung schreitet sie zur Selbstzerstörung fort. Das halbgebildete Bewußtsein beharrt auf dem ›Mir gefällt es‹, zynisch-verlegen darüber lächelnd, daß der Kulturschund eigens fabriziert wird, um den Konsumenten hinters Licht zu führen: Kunst soll als Freizeitbeschäftigung bequem und unverbindlich sein; den Betrug nehmen sie in kauf, weil sie insgeheim ahnen, daß das Prinzip ihres eigenen Realismus der Betrug des Gleich um Gleich ist. In solchem falschen und zugleich kunstfeindlichem Bewußtsein entfaltet sich das Fiktionsmoment der Kunst, ihr Scheincharakter in der bürgerlichen Gesellschaft: mundus vult decipi lautet ihr kategorischer Imperativ für den künstlerischen Konsum. Davon wird jegliche naive künstlerische Erfahrung mit Fäulnis überzogen; insofern ist sie unnaiv. Objektiv wird das vorherrschende Bewußtsein zu jenem verstockten Verhalten bewogen, weil die Vergesellschafteten vor dem Begriff der Mündigkeit, auch der ästhetischen, versagen müssen, den die Ordnung postuliert, welche sie als die ihre beanspruchen, und um jeden Preis festhalten. Der kritische Begriff von Gesellschaft, der den authentischen Kunstwerken ohne ihr Zutun inhärent, ist unvereinbar mit dem, was die Gesellschaft sich selbst dünken muß, um so fortzufahren, wie sie ist; das herrschende Bewußtsein kann von seiner eigenen Ideologie sich nicht befreien, ohne die gesellschaftliche Selbsterhaltung zu schädigen. Das verleiht scheinbar abseitigen ästhetischen Kontroversen ihre soziale Relevanz.“

Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt/Main 1970, S. 349/350


 
 
 

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