Notizen zu DANCE GIRL DANCE von Dorothy Arzner (USA 1940) – von Christine Lang
im Kino Arsenal, So 20.4., 20h (präsentiert von Vaginal Davis)
Es ist sehr interessant, sich den Film aus heutiger Perspektive noch einmal genau anzuschauen, weil Dorothy Arzner in diesem Film einerseits die Regeln und Konventionen des Hollywood-Melodrams seiner Zeit einhält, andererseits diese, vor allem die der im Film dargestellten Geschlechterverhältnisse, auf subtile Art und Weise unterläuft. Das lässt den Film sehr modern und seiner Zeit voraus wirken.
Arzners Subversion realisiert sich durch die filmästhetischen Mittel, etwas was im Drehbuch also nicht zwingend wahrnehmbar sein muss, wie beispielsweise das typische Happy End, in dem die Protagonistin nun endlich, den Regeln des melodramatischen Erzählens folgend, in die Arme des väterlichen Liebhabers sinkt – allein durch das Kostüm und die Kamera wird dies elegant konterkariert: Der schwarze Hut passt, könnte man sagen, eher zu einer Beerdigung, und die Kamera zeigt nicht das glückliche Paar, sondern eine halb lächelnde, aber auch halb weinende Protagonistin.
Auch auf anderen Ebenen ist der Film voller Ambivalenzen. Auf der expliziten Handlungsebene geht es um zwei Tänzerinnen, Judy (Maureen O’Hara) und Bubbles (Lucille Ball), die unterschiedliche Ziele verfolgen: Bubbles die Karriere als Burlesque-Queen, der es vornehmlich um Geld geht, während Judy von der hohen Kunst träumt – ihr größter Traum ist das Modern Ballett. Als Figuren in einem Melodrama, in dem die romantische Liebe im Zentrum steht, sind die beiden dennoch mehrdimensional angelegt: Sie sind Konkurrentinnen und solidarische Freundinnen zugleich. Ihrem Verhältnis wird mehr Raum und Tiefe gegeben als ihrer Liebe zu den Männern.
Auf der Sujet-Ebene des Films aber werden nicht nur die Probleme der Figuren, sondern Fragen nach dem Blickregime verhandelt. Wer auf wen wie schaut – vor allem schauen hier Männer auf Frauen. Der Blick, die Hierachie des Blickens scheint das eigentliche Thema des Films zu sein. Und so gibt es in diesem Film eine geradezu als Schlüsselszene der Filmgeschichte zu bezeichnende Szene, die 35 Jahre vor Lauras Mulveys Begründungstext der feministischen Filmtheorie “Visual Pleasure and Narrative Cinema” (1975) bereits dessen Thesen zu verhandeln und vorwegzunehmen scheint: Als Judy es nicht mehr aushält, der Pausenclown von Bubbles Burlesque-Show zu sein, den das vorwiegend männliche Publikum auslachen und über den es schmierige Witze machen darf, hält sie inne, wendet sich unerwartet zu diesem nun erstaunt schweigenden Publikum, und hält eine Ansprache:
“Go ahead and stare. I’m not ashamed. Go on. Laugh! Get your money’s worth. Nobody’s going to hurt you. I know you want me to tear my clothes off so you can look your fifty cents worth. Fifty cents for the privilege of staring at a girl the way your wives won’t let you. What do you suppose we think of you up here–with your silly smirks your mothers would be ashamed of? And we know it’s the thing of the moment for the dress suits to come and laugh at us too. We’d laugh right back at the lot of you, only we’re paid to let you sit there and roll your eyes and make your screamingly clever remarks. What’s it for? So you can go home when the show’s over and strut before your wives and sweethearts and play at being the stronger sex for a minute? I’m sure they see through you just like we do.“
Text: Christine Lang
Literaturhinweis:
Mayne, Judith: Directed by Dorothy Arzner. Indiana University Press, 1994