Monatsarchiv für April 2014

 
 

Notizen zu DANCE GIRL DANCE von Dorothy Arzner (USA 1940) – von Christine Lang

im Kino Arsenal, So 20.4., 20h (präsentiert von Vaginal Davis)

Es ist sehr interessant, sich den Film aus heutiger Perspektive noch einmal genau anzuschauen, weil Dorothy Arzner in diesem Film einerseits die Regeln und Konventionen des Hollywood-Melodrams seiner Zeit einhält, andererseits diese, vor allem die der im Film dargestellten Geschlechterverhältnisse, auf subtile Art und Weise unterläuft. Das lässt den Film sehr modern und seiner Zeit voraus wirken.

Arzners Subversion realisiert sich durch die filmästhetischen Mittel, etwas was im Drehbuch also nicht zwingend wahrnehmbar sein muss, wie beispielsweise das typische Happy End, in dem die Protagonistin nun endlich, den Regeln des melodramatischen Erzählens folgend, in die Arme des väterlichen Liebhabers sinkt – allein durch das Kostüm und die Kamera wird dies elegant konterkariert: Der schwarze Hut passt, könnte man sagen, eher zu einer Beerdigung, und die Kamera zeigt nicht das glückliche Paar, sondern eine halb lächelnde, aber auch halb weinende Protagonistin.

Auch auf anderen Ebenen ist der Film voller Ambivalenzen. Auf der expliziten Handlungsebene geht es um zwei Tänzerinnen, Judy (Maureen O’Hara) und Bubbles (Lucille Ball), die unterschiedliche Ziele verfolgen: Bubbles die Karriere als Burlesque-Queen, der es vornehmlich um Geld geht,  während Judy von der hohen Kunst träumt – ihr größter Traum ist das Modern Ballett. Als Figuren in einem Melodrama, in dem die romantische Liebe im Zentrum steht, sind die beiden dennoch mehrdimensional angelegt: Sie sind Konkurrentinnen und solidarische Freundinnen zugleich. Ihrem Verhältnis wird mehr Raum und Tiefe gegeben als ihrer Liebe zu den Männern.

Auf der Sujet-Ebene des Films aber werden nicht nur die Probleme der Figuren, sondern Fragen nach dem Blickregime verhandelt. Wer auf wen wie schaut – vor allem schauen hier Männer auf Frauen. Der Blick, die Hierachie des Blickens scheint das eigentliche Thema des Films zu sein. Und so gibt es in diesem Film eine geradezu als Schlüsselszene der Filmgeschichte zu bezeichnende Szene, die 35 Jahre vor Lauras Mulveys Begründungstext der feministischen Filmtheorie “Visual Pleasure and Narrative Cinema” (1975) bereits dessen Thesen zu verhandeln und vorwegzunehmen scheint: Als Judy es nicht mehr aushält, der Pausenclown von Bubbles Burlesque-Show zu sein, den das vorwiegend männliche Publikum auslachen und über den es schmierige Witze machen darf, hält sie inne, wendet sich unerwartet zu diesem nun erstaunt schweigenden Publikum, und hält eine Ansprache:

“Go ahead and stare. I’m not ashamed. Go on. Laugh! Get your money’s worth. Nobody’s going to hurt you. I know you want me to tear my clothes off so you can look your fifty cents worth. Fifty cents for the privilege of staring at a girl the way your wives won’t let you. What do you suppose we think of you up here–with your silly smirks your mothers would be ashamed of? And we know it’s the thing of the moment for the dress suits to come and laugh at us too. We’d laugh right back at the lot of you, only we’re paid to let you sit there and roll your eyes and make your screamingly clever remarks. What’s it for? So you can go home when the show’s over and strut before your wives and sweethearts and play at being the stronger sex for a minute? I’m sure they see through you just like we do.“

Text: Christine Lang

Literaturhinweis:

Mayne, Judith: Directed by Dorothy Arzner. Indiana University Press, 1994

Trap Music in SPRING BREAKERS – von Christine Lang

In der Electronic Dance Music (EDM) erscheinen pro Woche bis zu viertausend neue Tracks, darunter alleine in einem einzigen Subgenre wie Dirty Dubstep/Trap/Grime etwa hundertvierzig. EDM ist vor allem DJ-Musik, die sich in stetig fusionierende und damit neu entstehende Subgenres unterteilt, die einer Dynamik der Ansteckung (Steve Goodman) folgen. Manche Styles haben nur eine kurze Blütephase – z.B. Bassline oder Moombahton – manche aber werden groß. Einer der großen Styles des neuen Jahrtausends war Dubstep und seine Nachfolgerin scheint derzeit Trap zu werden.

Trap ist so etwas wie der neue Rave, die zugespitzte Variante dessen, wofür M.I.A. und Diplo den Boden bereitet haben. Es geht darin um die Vereinnahmung der Musik des Black Atlantic mitsamt seinen Signature-Sounds wie Pistolenschüssen, MC-Shouts und eben Basslines – aber auch des dazugehörigen Booty Dance – und deren Überführung in die Kulturlogiken der überwiegend weißen Musikstile Rock und Metal. In den USA füllen sich zur Zeit Hallen mit feiernden Kids, die zu basslastigen Roland-TR-808-Hymnen abfeiern. Die Signature Tracks für diese Dancemusic der Gegenwart sind Baauer’s deeper, dabei comic-hafter “Harlem Shake”, der es 2013 zu einen viralen Internet-Musikvideophänomen gebracht hat, oder Skrillex’ “Scary Monsters and Nice Sprites”, der mit seiner Scratch-Soundästhetik, dem crazy Sägebass und der weltumarmenden kitischig-kreischenden Kinderliedmelodie als Titeltrack von Harmony Korines SPRING BREAKERS (2012) außerhalb der Clubkultur Karriere machte.

Trap ist so etwas wie der delokaliserte Nachfolger aller Global-Ghetto-Styles, der einerseits an Südstaaten-Rap aber vor allem an den ursprünglich in UK entstandenen, dann aber global gewordenen Dubstep anschließt. Im Unterschied zu Dupstep ist Trap, ähnlich wie dessen kleiner Bruder Brostep, weniger basslastig, und damit nicht auf die Leistungsfähigkeit lokaler Bassboxen/Soundsystems angewiesen; die sägenden Mitten in Trap klingen auch auf Smartphones und Computerboxen noch heavy genug.

Trap ist vor allem Gebrauchsmusik für den Dancefloor, es gibt keine Vinyl-Releases mehr – so wie das im Dubstep durchaus noch zum guten Ton gehörte – und keine Musikvideos. Bestenfalls werden passende Bilder zu den Tracks von den Hörern selber produziert – so wie im Fall “Harlem Shake” – oder man hat das Glück, als „das“ paradigmatische kulturelle Phänomen der Gegenwart erkannt zu werden, zum Beispiel von dem mit einem besonderen Gespür für Underground-Codes und popkulturelle Distinktion ausgestatteten Harmony Korine. Sein Film SPRING BREAKERS ist nicht nur eine Hommage an einen Trap/EDM-Exzess auf inhaltlicher Ebene, sondern eine filmische Anverwandlung: der Film dreht das filmmusikalische „Mickey-Mousing“, bei dem Musik punktgenau an den Film angepasst wird, quasi um und passt sich formal-strukturell an die Ästhetik von EDM an: In Spring Breakers gibt es Loops und Patterns, Wiederholungen und Schleifen, es gibt eine Ästhetik des Scratchens, des Auf-der-Stelle-Tretens. Und all das dient dem bombastischen, ozeanisch-großen Gefühl. Dieses Gefühl zählt mehr als filmische Bedeutungskonstruktionen; denn Handlung und Suspense werden in Spring Breakers nur noch zitiert, aber nicht mehr ausgeführt. Dieses Vermeiden von Handlunsgsgeschehen entspricht dem Hinauszögern der Hooklines in “Scary Monsters and Nice Sprites”; beides dient der Steigerungslogik des ultimativ Exzessiven. Und vielleicht ist gerade der Exzess eine der wenigen ästhetischen Strategien, die in Zeiten der Zweckrationalität und neoliberalen Selbstoptimierung noch echtes utopisches Potential in sich tragen – was wiederum Trap und SPRING BREAKERS zur einer der interessantesten Avantgarden der Gegenwart macht.

Der Text erschien im März 2014 in CARGO#21